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Anas Modamani vs Facebook

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FaceBookKlage_132761522_SKein Journalist will sich nach dem zurückliegenden US-Wahlkampf und der Stimmungsmache gegen Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik der Regierung im Internet noch mit Fake News befassen. Wir sind es satt, ständig gegen den Strom aus Halb- und Unwahrheiten anschwimmen zu müssen und unsere Arbeit zu rechtfertigen. „Ich mag Nachrichten nicht so sehr“, sagt mein Friseur zu mir. Warum dem so ist kann er aber nicht begründen. Es herrscht gefühlt eine negative Stimmung gegen Medien. Auf der einen Seite vertrauen mehr Menschen auf die Informationen, die sie durch sie beziehen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch insgesamt ein höheres Misstrauen ihnen gegenüber.

Viele Menschen glauben lieber das, was sie glauben wollen. Es ist nun mal einfacher, sich selbst zu belügen als sich einzugestehen, dass man belogen wird. Aber manchmal, da gibt es einen Moment, der einen innehalten lässt und inspiriert. Ein solcher Moment war der Tag, als ich vom Schicksal von Anas Modamani erfuhr.

Das Foto, das ein Leben beeinflusst

Modamani ist ein syrischer Flüchtling, der zufälligerweise im Spätsommer 2015, dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, in einem Flüchtlingsheim in Spandau lebte. Genau das Heim besuchte Angela Merkel, die seit diesem Sommer von – vorsichtig gesagt – alternativen Medien auch „Flüchtlingskanzlerin“ genannt wird. Das Foto, das Modamani mit ihr schießt, trägt dazu bei. Es zeigt ihn beim Selfie mit der Kanzlerin. Ein weiteres Bild, das noch bekannter ist, zeigt einen etwas größeren Ausschnitt der Szene. Es ist ein Moment der Normalität in einem ganz und gar nicht normalen Jahr und lässt Merkel, auch das nicht unbedingt alltäglich, nahbar wirken und nicht fremd in der eigenen Rolle. Anfang 2016 wird das Bild erstmals missbraucht.

Modamani wird zum Terroristen gemacht

Der Syrer wird beschuldigt, einer der Terroristen der Anschläge von Brüssel gewesen zu sein und Merkel dadurch – als zweite Geschädigte – in die Nähe des IS gerückt und direkt für islamistische Anschläge verantwortlich gemacht. Doch das ist nicht die einzige Rolle, in die der 19-Jährige gedrängt wird. Als im Dezember syrische Jugendliche in Berlin versuchen, einen Obdachlosen anzuzünden, soll er wieder einer der Täter gewesen sein. Diese Verleumdungen verstoßen jedoch offensichtlich nicht gegen die Standards des größten sozialen Netzwerks der Welt, denn das Foto ist seitdem hundertfach hochgeladen worden, teilweise mit neuen Fake-News dazu.

Angst um die Zukunft

Modamani bereut im „SZ“-Interview, das Bild gemacht zu haben. Firmen, bei denen er sich womöglich einmal bewerben möchte, könnten seinen Namen googeln und dann in dem Zusammenhang Schlagwörter wie Terror und ähnliches angezeigt bekommen. Dabei ist der Syrer ein Beispiel für gelungene Integration, spricht gut Deutsch, wohnt bei einer Familie in Berlin und hat einen Job in einem Schnellrestaurant. Als ihn einmal allerdings zwei Männer auf dem Weg zur Bahn erkennen wird es brenzlig und er muss sie davon überzeugen, kein Terrorist zu sein. Es sind solche Momente, die ihn dazu bewegen, die Rechte an seinem Foto, seinem Leben und der Wahrheit einzufordern. Also verklagt er Facebook.

Ein Flüchtling gegen das mächtigste Netzwerk der Welt

Modamani fordert, dass die Bilder dort unmissverständlich gelöscht und nicht wieder hochgeladen werden können. Das will Facebook angeblich getan haben, doch Modamanis Anwalt Chan-Jo Jun kann weiterhin problemlos Posts mit den beiden Fotos aufrufen. Das Netzwerk würde Bilder, ebenso wie auch Kommentare, nicht vollständig löschen, sondern nur die entsprechende URL blockieren. In anderen europäischen Ländern sind die Inhalte teilweise noch offen einsehbar. Wer hierzulande mit einem Browser surft, der die IP-Adresse verschleiert, sieht die Fotos ebenso. Dabei wäre es mit Hilfe von Facebooks Bilderkennung durchaus machbar, die Bilder sperren zu lassen. Genau das bestreiten die Anwälte in Würzburg allerdings und profitieren dabei offenbar von der Unwissenheit der rechtsprechenden Kammer.

Grundsatzurteil angestrebt

Die gibt an, nicht zu wissen, was ein Post ist. Kein Mitglied der Kammer sei bei Facebook angemeldet oder aktiv. Mit anderen Worten: Komplette Laien sollen in einem Social-Media-Prozess ein Urteil fällen. Das wäre so, als würde man in einem Prozess gegen einen Serienmörder einen Fachmann für Steuerrecht das Urteil fällen lassen. Trotzdem geben Jun und Modamani nicht auf und sehen das Strafgesetzbuch auf ihrer Seite. „Unter Paragraph 186 steht deutlich, dass sich jemand durch die Verbreitung von Unwahrheiten haftbar macht“, so Jun. Nun stellt sich natürlich die Frage, ob Facebook für die Inhalte haftbar gemacht werden kann, die auf seinen Servern weiterverbreitet werden, oder es immer nur den Urheber eines Posts betrifft. Und was ist mit denen, die etwas „liken“ oder teilen? Deshalb verlangt er in erster Linie, dass man als Geschädigter per einstweiliger Verfügung dafür sorgen kann, dass Unwahrheiten nach der Anzeige bei Facebook gelöscht bleiben und nicht wieder hochgeladen werden dürfen und dass sich das soziale Netzwerk an europäische Gesetze hält, denn das würde bislang noch immer nicht geschehen. Zu lange habe Justizminister Maas es mit gut gemeinten Worten und freiwilligen Verpflichtungen versucht, doch das habe nur dazu geführt, dass eine externe Agentur die Meldungen nach einem internen Handbuch bearbeitet. Von sich aus, wie es Jun fordert, wird Facebook nicht aktiv, sondern immer nur auf Anfrage und selbst dann entscheidet es nicht nach dem Gesetz, sondern nach den eigenen Richtlinien.

Wider Facebooks Interessen

Und die sind, allen Beteuerungen Zuckerbergs zum Trotz, nun mal von ökonomischer Natur. Traffic bringt Nutzer bringt Einnahmen. Nicht von ungefähr hat man Umsatz und Gewinn im abgelaufenen Geschäftsjahr mehr als verdoppelt. Obwohl Millionen Menschen allein in Deutschland Facebook wie einen Medienkanal nutzen, über den sie nach ihren Einstellungen und Vorlieben Nachrichten beziehen, gelten für das Netzwerk nicht die gleichen Gesetze. Hat ein Geschädigter in einem klassischen Medium das Recht auf eine Gegendarstellung, trifft das auf Facebook nicht zu. Hier gilt ein Konstrukt, das auf einer EU-Richtlinie und dem deutschen Telemediengesetz aus dem Jahr 2000 beruht. Facebook wurde aber erst 2004 in Betrieb genommen und zählt mittlerweile 1,86 Milliarden Mitglieder.

Ein Urteil betrifft alle – außer die Kammer

Es bleibt zu hoffen, dass die Kammer in Würzburg mit Weitsicht entscheidet. Selbst als Nicht-Bürger im Staate Facebook sollte man erkennen können, welche Tragweite und Bedeutung das Netzwerk mittlerweile weltweit einnimmt und damit auch das Urteil. Das Netz sollte nicht zu einer Art Wilder Westen des 21. Jahrhunderts werden. Dank Anas Modamani mache ich mir wieder etwas Hoffnung.

Der Beitrag Anas Modamani vs Facebook erschien zuerst auf MATERNA newmedia BLOG.


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