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Welche Rolle haben Social Bots im US-Wahlkampf gespielt?

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Social BotsAngesichts des Ausgangs der US-Wahl vom 8. November ist es wohl noch zu früh, von einer Beruhigung des Gemüts zu sprechen. Zu präsent sind die Aussagen von Donald Trump während und nach seinem Wahlkampf, der in der Regel weit unter der Gürtellinie geführt wurde und bei dem so viele Unwahrheiten und offensichtliche Lügen verbreitet wurden, wie niemals zuvor. Dagegen ging es beim Brexit vergleichsweise anständig zu. Passend, dass Trump als ersten Politiker ausgerechnet den Brexit-Initiator Nigel Farage empfing. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Digitale Unterstützung

Worum es sich bei Chat Bots und Social Bots handelt, hat Newmedia-Redakteurin Angela Seger hier und hier erklärt. Deshalb wird an dieser Stelle auf eine erneute Einführung in die Thematik verzichtet. Angesichts der noch immer wachsenden Bedeutung von sozialen Netzwerken für das gesamte Leben verwundert es kaum, dass bei diesem Wahlkampf mehr Bots im Einsatz waren, als jemals zuvor. Längst wird über Facebook und Twitter nicht mehr bloß mit Freunden gechattet, sondern Werbung, Politik und knallhartes Nachrichten-Business betrieben.

Dabei sind jene Roboter-Helfer im Einsatz, die zwar nur virtuell existieren, aber eben für ihren Auftraggeber die öffentliche Meinung beeinflussen, demokratische Prozesse wie Debatten torpedieren und somit über eine virtuell vorgelebte Mehrheit die Spaltung der Gesellschaft über die Verzerrung der Realität vorantreiben. „Fake it until you make it“, wäre entsprechend ein besserer Schlachtruf für die Trump-Kampagne gewesen, als das allgegenwärtige „Make America great again“. Neben der unterstützenden Wirkung für die Kandidaten können die Bots zudem noch Journalisten bedrohen und Stimmen von Minderheiten im öffentlichen Diskurs ersticken. Toll, oder?

Wie erkennt man Bots?

Eine genaue Anzahl der im Einsatz befindlichen Bots heraus zu bekommen ist schwierig. Zu gut funktionieren die Programme mittlerweile. Was man allerdings tun kann ist, eine Art Ausschlussprinzip anzuwenden, mit dem man recht einfach potenziell menschliche Profile von potenziell nicht-menschlichen Profilen unterscheiden kann. Phil Howard von der Oxford University hat dafür eine Obergrenze von 50 Tweets pro Tag bestimmt. Aufgrund der Erfahrungen bei den Wahlen in Russland und in Venezuela sowie des Referendums über den Brexit sei dies eine vergleichsweise sichere Trennlinie, wenngleich besonders ambitionierte Unterstützer, die mit viel Zeit gesegnet sind, die 50-Tweet-Schallmauer ebenfalls durchbrechen könnten. Darüber hinaus kann man die Tweets einer inhaltlichen Analyse unterziehen. Bei einer sehr großen Übereinstimmung liegt die Schlussfolgerung nahe, dass es sich um Bots handelt. Aus der Untersuchung geht hervor, dass die Existenz eines Trump-Bots viermal wahrscheinlicher ist als die eines Clinton-Bots. Andere Quellen sprachen kurz vor der Wahl von siebenmal so vielen digitalen Helfern. Das wird vor allem deutlich, wenn man sich das Abschneiden des Immobilienmoguls bei den TV-Duellen anschaut.

Wie beeinflussen Bots die Meinung?

Der große Teil der Leitmedien und Experten in den USA, und auch weltweit, erklärte Hillary Clinton zur überragenden Siegerin der ersten TV-Debatte. Einzig beim Ins-Wort-Fallen hängte Trump seine Konkurrentin mit großem Vorsprung ab. Dennoch spricht die Datenauswertung zwischen dem ersten und zweiten Aufeinandertreffen der beiden eine andere Sprache. Die Online-Umfragen bei Time, Breitbart, CNBC, Fox 5 und Syracuse kürten allesamt Trump zum Gewinner. Der fühlte sich somit von den Leitmedien hintergangen und feuert seine Breitseiten auf Twitter ab. Über die entsprechenden Hashtags greifen Bots diese Botschaften wiederum auf und verbreiten sie. Von den Trump-affinen Botschaften gab es während und kurz nach dem Duell 1,8 Millionen. Bei Clinton waren es nur 613.000. Der Anteil der Bot-Tweets liegt beim Republikaner bei ca. 38 Prozent, bei der Demokratin bei etwa 23 Prozent. Im gesamten Wahlkampf unterstützten Trump etwa 300.000 Bots, Clinton zählte 100.000 automatisierte Helfer. Trumps Social-Media-Armee setzte über 3,8 Millionen Nachrichten ab und manipulierte so massiv die öffentliche Meinung durch sekundenschnelle Vervielfältigungen unter entsprechenden Hashtags. Zudem bleiben eigentlich veraltete Threads so noch aktuell. Selbst als Clinton erneut vom FBI entlastet wurde, war der Hashtag noch vergleichsweise lang bei den Top-Diskussionen gelistet. So rollen künstliche geschaffene und sachlich falsche Meinungs-Lawinen durch die sozialen Netzwerke und erwecken erstens den Eindruck, Trump habe das TV-Duell und das Rennen um die öffentliche Meinung gewonnen und zweitens, dass ihm die klassischen Medien, die mit den Demokraten und der ‘korrupten’ Clinton unter einer Decke stecken, den Sieg aberkennen wollen, da er als einziger die unbequeme Wahrheit ausspricht und den Status quo gefährdet. Dabei lässt er seine inhaltlichen Schwächen völlig in den Hintergrund sinken. Wer häufiger geklickt und geteilt wird, ist der Sieger. Anders gesagt: Wer schreit, hat recht. Diese Kombination aus inhaltsleerer Wahlkampf-Textur und massiv gefälschten Statistiken stellt den beängstigen Wahlkampf der Gegenwart dar.

Wer steckt dahinter?

Das muss nicht heißen, dass Trump oder Clinton die Bots selbst finanziert oder den Auftrag dazu erteilt haben. Gerade Breitbart oder Fox sind sehr konservative Medien, die sich über Social Bots die Click-Bait-Schlachten ersparen, indem sie gefälschte User anlegen, die weitere gefälschte User anlegen, um die Klickstatistiken zu frisieren und darüber hinaus ihren Wunschkandidaten supporten, indem sie den Eindruck erwecken, seine oder ihre Ansichten seien besonders populär.

Wie schützt man sich vor Falschinformationen?

Zuerst ist es wichtig zu wissen, dass es solche automatisierten Meinungsmaschinen überhaupt gibt und entsprechend kritisch zu hinterfragen, wer die Nachricht oder den Tweet verfasst hat. Handelt es sich um einen Retweet oder eine Sendung aus erster Hand? Wenn letzteres der Fall ist, sollte man sich anschauen, wer der Verfasser ist. Handelt es sich um eine Person des öffentlichen Lebens oder verweist der Aufbau des Profils auf menschliche Kontakte? Mit anderen Worten: Wirkt es „real“? „Echte Menschen“ haben in sozialen Netzwerken nicht nur eine handvoll Freunde oder nur Follower aus einem bestimmten Dunstkreis, sondern ein in der Regel gemischtes Umfeld, mit dem sie mehr oder weniger rege in Kontakt stehen. Bei Bots sieht das anders aus. Das Tool BotOrNot kann hier helfen. Vor allem angesichts der Bundestagswahlen im kommenden Jahr ist Medienkompetenz einer der wichtigsten Filter. Zwar haben auch umstrittene Parteien bereits gesagt, sie werden keine Bots nutzen, doch sich selbst zu überzeugen, kann nicht schaden. Vor allem, wenn ein Begriff wie „post-truth“ zum internationalen Wort des Jahres 2016 gewählt wird. Fakten, das haben die großen Wahlkämpfe in diesem Jahr bewiesen, sind weniger wichtig als die Mobilisierung von Gefühlen und Emotionen.

Der Beitrag Welche Rolle haben Social Bots im US-Wahlkampf gespielt? erschien zuerst auf MATERNA newmedia BLOG.


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